Notizen zum System standardisierter Crashtests | Von Hanno S. Ritter
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Smart vs. E-Klasse: |
DaimlerChrysler |
Bei EuroNCAP schafft der Smart "nur" drei Sterne - doch er ist bis dato der einzige Klein(st)wagen mit serienmäßigem ESP auch im Basismodell |
Sicherheit ist eines der wichtigsten Themen bei Autos, wenn nicht das wichtigste – keine Frage. Dennoch scheint
sich das System der bekannten Crashtests à la EuroNCAP langsam zu überleben. Oder gerade deswegen.
Wenn den Autor nicht alles täuscht, dann beginnt die breite öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema mit Crashversuchen,
die die Kollegen der "auto motor und sport" ab den 1980er Jahren durchführten. Später folgte der ADAC und dann EuroNCAP
als unabhängiger Zusammenschluss diverser Behörden, Verbände, Vereine und Organisationen.
Würde man ein durchschnittliches Kompakt-Modell von 1985 mit den heutigen Testmethoden crashen, so wäre das Ergebnis in
den allermeisten Fällen hanebüchen schlecht, der öffentliche Aufschrei groß - und der betreffende Hersteller hätte zu
Recht ein echtes PR-Problem.
Der Sicherheitsstandard hat sich nicht zuletzt - möglicherweise gar vor allem deshalb - in den letzten Jahren also merklich
verbessert. Das ist die gute, beileibe nicht zu unterschätzende Seite von EuroNCAP. Die schlechte ist weniger der
zweifelhafte Vergleich von links- und rechtsgelenkten Modellen, das nervige Gepiepse der Gurtwarner beim Ausparken, womit
der überwiegend angeschnallten Mehrheit Nachteile für die Gurtmuffel aufoktryiert werden (die sie auch noch
mitbezahlen muss) oder die suboptimale Öffentlichkeitsarbeit der Organisation, sondern vielmehr ein grundsätzliches
Problem.
Ein Blick auf die jüngsten Ergebnisse der letzten Jahre zeigt, dass das System in der bekannten Form weitgehend am Ende
ist: Fünf Sterne sind für Autos ab der Größe eines VW Polo nicht nur ein Muss, sondern auch eine Selbstverständlichkeit
geworden, bei Kleinstwagen vom Schlage eines Peugeot 107 darf man vier Sterne erwarten. Ausrutscher wie den des Dacia
Logan oder im letzten Jahr in abgeschwächter Form den des BMW 5er sind selten geworden und jedenfalls im ersten Fall
auch nicht verwunderlich: Von einem Auto, das gerade einmal gut 7.000 Euro kostet, darf man letztlich wohl auch nicht
mehr erwarten.
Wer aber glaubt, die Tendenz ginge so weiter, der irrt: Allzu große Fortschritte in der passiven Sicherheit sind
jedenfalls mittelfristig nicht mehr zu erwarten. Dazu sind die Anforderungen (Stichwort Insassenschutz, Fußgängerschutz,
Kompatibilität) zu hoch und teilweise gegensätzlich, das Budget und der zur Verfügung stehende Platz zu klein. Ein
Vectra wird nicht so sicher werden wie ein Formel 1-Auto, und auch eine S-Klasse nicht.
Folgt man der Prämisse, wird es also in Zukunft immer mehr 5-Sterne-Modelle geben. Eine Verschärfung der Kriterien
scheint derzeit nicht zur Debatte zu stehen, und darunter würde auch die Vergleichbarkeit stark leiden, ganz zu
schweigen vom immensen auch finanziellen Aufwand, einige Modelle erneut mehrfach an die Wand oder den Pfahl zu fahren.
Notabene mag man auch fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, an einen günstigen Kleinstwagen die gleichen Maßstäbe
anzulegen wie an eine Oberklasse-Limousine für Besserverdienende.
Vor allem aber mag man das komplette Procedere standardisierter Crashtests in Frage stellen. Zweifellos sind heutige
Modelle ganz exakt auf die EuroNCAP-Konstellation abgestimmt, die vor Markteinführung Hunderte von Male am Computer
und mutmaßlich Dutzende Male in der Realität simuliert wird. Man wird darüber nachdenken müssen, ob und ggf. inwieweit
darunter die allgemeine Sicherheit leidet, um die es in der Praxis ausschließlich geht. Wie etwa schneidet Modell XY
ab, wenn die Geschwindigkeit beim Test minimal erhöht oder die Überdeckung leicht geändert wird? Wie sieht es eigentlich
aus, wenn der Unfall-"Gegner" keine definiert gestaltete und verformbare Barriere, sondern ein entgegenkommendes Auto,
ein Lkw, ein Baum ist?
Noch vor 20 oder mehr Jahren war die Sache klar: Wer ein vergleichsweise sicheres Auto will, kauft Volvo, vielleicht
Saab oder insbesondere Mercedes. Das sind jene Firmen, die schon vor bald fünfzig Jahren viele Gedanken und viel Geld
in das Thema investiert haben, die Knautschzonen, Sicherheitsgurte, entschärfte Innenräume, Sicherheitslenksäulen und
später Airbags erfunden und umgesetzt haben, während beim Gros der Hersteller das Thema noch mehr als abseits stand.
Wie ist es heute? Ist ein Mercedes immer noch sicherer als ein vergleichbarer Audi? Oder optimiert auch Mercedes nur
noch auf die festgelegten Kriterien? Ist Audi vielleicht gar vorbeigezogen? Hat BMW beim 5er möglicherweise absichtlich
ein schlechtes EuroNCAP-Ergebnis in Kauf genommen, insgesamt aber ein sehr sicheres Auto gebaut? Wie sicher ist
eigentlich ein Porsche? Die Hersteller schweigen dazu naturgemäß (oder leider), und EuroNCAP weiß darauf ebenfalls
keine Antwort. Der Autor dieser Zeilen jedenfalls würde - ganz subjektiv - lieber im Mercedes W123 von 1982 einen
Frontal-Unfall haben als im Citroën C1 unserer Tage.
Es gibt Gerüchte, wonach es manche Modelle, die bei EuroNCAP gut abschneiden, in den USA nicht gibt, weil sie dort die
Crashversuche erst gar nicht erfüllen würden und in der Folge keine Zulassung bekämen. Ob das stimmt, muss an dieser
Stelle offen bleiben, doch der Gedanke zeigt, wo der Hund begraben liegt - begraben liegen könnte.
Das ist die eine Seite der Problematik. Möglicherweise wichtiger ist aber ein ganz anderer Aspekt:
Die Zukunft der Sicherheitsfortschritte beim Automobil, ob man das nun gern hört oder nicht, liegt in der aktiven
Sicherheit und damit in der Elektronik: Von ABS über ESP, von Nachtsichtgeräten über Head-up-Displays, von
Abstandstempomaten bis hin zur Überwachung der Fahrermüdigkeit. Hier bedürfte es größerer Anstrengungen von
Teilen der Medien, von Herstellern und Organisationen: Hätte nur jedes Auto in Deutschland ESP, gäbe es Schätzungen
zufolge möglicherweise bis zu 2.000 Tote - ein Drittel - weniger als bisher. 2.000 Tote in einem Jahr - fünf Menschen
jeden einzelnen Tag.
Selbst wenn die Quote nur halb so hoch wäre - es wird höchste Zeit für ESP als Standard. Das haben diverse Studien
längst bewiesen. Unfallforscher bezeichnen die "Schleuderbremse" bereits als zweitwichtigste Errungenschaft nach -
nein, nicht den Airbags - dem Sicherheitsgurt, und das trotz der immer wieder aufkommenden Diskussion über mögliches
Kompensationsverhalten der Autofahrer, das tatsächlich so gut wie keine Rolle spielt.
EuroNCAP wird sich überlegen müssen, wie man in Zukunft weiter testet und vor allem bewertet. Dass die Organisation
darüber nachdenkt, ist klar. Heute rief sie erstmals öffentlich alle Autokäufer dazu auf, das nächste Fahrzeug nur
noch mit ESP zu kaufen. Höchste Zeit wurde es, und höchste Zeit wird es für ein neues Bewertungsschema, das auch aktive
Komponenten mit einschließt. Hierzu gehört ESP an erster Stelle, aber auch Selbstverständlichkeiten wie gutes Licht,
gute Übersichtlichkeit, stabile Sitze, passable Kopfstützen und vieles mehr.
Die Unfallzahlen, vor allem die Opferzahlen, sind tendenziell sinkend. Dass muss so bleiben, mindestens. Am besten
durch Unfälle, die erst gar nicht passieren, zum Beispiel wegen einer kleinen Blackbox, die baldigst in keinem Neuwagen
mehr fehlen sollte. EuroNCAP muss dabei weiter am Ball bleiben, darf aber die Zeichen der Zeit nicht verschlafen.
Gurtwarner sind nicht alles.