Vierte Generation wird größer, auffälliger, digitaler
Neuer Seat Leon: Zwischen Golf und Octavia
Nach den Neuauflagen von VW Golf und Škoda Octavia zeigt sich nun auch der neue Seat Leon: Mehr Auffälligkeit lautet die Devise,
im Übrigen setzt der spanische Beitrag wie die beiden anderen auf mehr Lichtspiele, Vernetzung, Mild-Hybridisierung und das neue
fragwürdige Bedienkonzept. Eigene Akzente vermag der Leon kaum zu setzen.
Seat
Das ist der
neue Seat Leon FR
Seat geht es aktuell bestens, jedenfalls im Vergleich zu früher. Die Spanier haben sich vom Sorgenkind des VW-Konzerns zur Eroberungsmaschine
entwickelt, im letzten Jahrzehnt kontinuierlich den Absatz gesteigert und in acht der zehn Jahre auch den Marktanteil. Gründe dafür gibt es
viele, aber einer sticht besonders heraus: Der Leon III, 2012 eingeführt, war und ist bis heute ein richtig ansehnliches Auto - innen wie
außen. Er hat damit auf das Image der Marke unendlich viel eingezahlt, über eine Million Menschen haben ihn gekauft.
Mit diesen Fakten im Hinterkopf den Nachfolger zu konzipieren, kann man als Traumjob ansehen. Oder als Herkulesaufgabe, zumal die Konzernstrategie inzwischen
noch mehr Vorgaben zu machen scheint als einst. Die Spanier haben also getan, was zu erwarten war: Den Leon so neu gezeichnet, dass er sich einerseits
möglichst deutlich von Golf und Octavia abhebt und andererseits nicht zu weit entfernt vom Vorgänger.
So bleibt die charakteristische Seitenlinie mit dem kleinen Dreiecksfenster in der C-Säule erhalten, auch das Spiel mit einer nicht durchgehenden
Tornadolinie auf der Flanke wird fortgeführt, wenn sich die Linien nun auch auf einer Höhe befinden. Wie bisher trägt der Leon IV stehende
Außenspiegel und verzichtet auf ein Zusatzfenster an der A-Säule.
Die zurückversetzten Scheinwerfer nehmen stark Bezug am Tarraco, der leicht negativ stehende Grill ist dreidimensionaler ausgeführt, der untere Teil der
Frontschürze zeigt sich überwiegend schwarz mit rechteckigen Nebelscheinwerfern. Laut Seat sind dynamische Blinker integriert, die Videos sprechen jedoch
eine gegenteilige Sprache. Wichtigste Änderung an der Front ist aber die eingelassene Motorhaube, die man sportlich finden kann oder der zusätzlichen
Spalte wegen als fehl am Platze interpretieren.
Das Heck zeigt gleich mehrere Neuerungen. So ist die Scheibe unten nicht mehr zugespitzt, die dritte Bremsleuchte ist unter dem deutlich gewachsenen
Dachkantenspoiler versteckt, die Heckklappe trägt eine scharfe Abrisskante und nicht zuletzt ein durchgehendes LED-Lichtband. Dieses ist allerdings
nur in bestimmten Ausführungen serienmäßig. Gleiches gilt auch für eine Voll-LED-Ausführung mit Laufblinker der Rückleuchten - hier spart Seat klar
an der falschen Stelle: Glühlampen-Blinker sind total out und zahlen - siehe oben - negativ aufs Imagekonto ein.
Im unteren Bereich der Heckklappe findet sich das stärker als bisher betonte Markenlogo und der Schriftzug: Während VW und Škoda neuerdings wie
viele andere Marken den jeweiligen Modell- bzw. Markennamen in großen Lettern aufkleben, setzt Seat nun auf eine Ausführung in Schreibschrift.
Schlecht wirkt das nicht, wohl aber zu groß und nicht eben zeitlos. Eine weitere Neuerung ist der beim sportlichen Leon FR nicht mehr schwarz
ausgekleidete Kennzeicheneinsatz.
Seat bietet den Leon IV als Fünftürer und als Kombi alias Sportstourer an, der Dreitürer war bereits beim auslaufenden Modell entfallen. Beide
neue Varianten sind bei nahezu unveränderter Höhe minimal schmaler geworden (1,80 Meter ohne Spiegel), haben aber deutlich in der Länge zugelegt.
So streckt sich der Fünftürer nun um rund achteinhalb Zentimeter mehr auf 4,37 Meter, der Kombi legt gar um über neun Zentimeter auf 4,64 Meter
zu. Seat behauptet, das habe den Proportionen gut getan, was man aber schon angesichts des Radstands in Frage stellen mag: Der Abstand zwischen
den Achsen hat das Karosseriewachstum nur um jeweils fünf Zentimeter mitgemacht und fällt mit 2,68 Metern auch insgesamt nicht gerade üppig aus.
Den zusätzlichen Platz haben die Ingenieure beim Fünftürer komplett in die allgemeine Architektur und den Fond gepackt und den Kofferraum mit
380 Litern unverändert gelassen - umgekehrt dürfte es für die meisten Kunden das praktischere Setting dargestellt haben. Der Kombi legt
beim Ladevolumen immerhin um 30 auf 617 Liter zu. Zum Vergleich: Der nochmals fünf Zentimeter längere Octavia Combi lädt 640 Liter ein.
Auch wenn es für eine endgültige Einordnung noch zu früh ist, halten wir den Auftritt des neuen Leon für größer und beliebiger. Die Front kommt
stubsnasig und niedrig daher, die Gürtellinie wirkt einen Tick zu hoch angesetzt, und manche Details wie die schrägen Spiegelblinker, der Schriftzug
oder das Leuchtband wirken mehr gewollt als gekonnt. Aus der ein oder anderen Perspektive könnte der Leon auch als Ford oder Koreaner durchgehen,
was einerseits nicht zwingend schlecht ist, andererseits aber vermeidbar gewesen wäre. Der Octavia ist
demgegenüber das gleichzeitig zurückhaltender und
klar satter auftretende Auto.
Zum Thema Antrieb äußert sich Seat nur vage. In Zeiten, in denen Elektroantrieb per Defintion toll zu sein hat, aber im Leon nicht verfügbar ist,
mögen die Kommunikatoren nicht mehr gern über TSI und TDI reden, so sauber und sparsam diese auch sein mögen. Überraschungen haben die Spanier
insoweit auch nicht zu bieten, die Motorenpalette orientiert sich klar an Golf und Octavia, deckt also zunächst den Bereich zwischen 90 und 190 PS
ab. Auch die Mild-Hybride und die technisch unveränderte Erdgas-Version werden kommen, ebenso eine Plug-in-Variante (PHEV) mit 204 PS Systemleistung
und rund 50 Kilometern E-reichweite. Unklar ist aktuell, ob der 200-PS-Diesel aus dem künftigen Golf GTD auch im Leon Einzug halten wird und was
beim Cupra zum Einsatz kommt - der 245-PS-PHEV aus Golf GTE und demnächst aus dem Tarraco dürfte den leistungsverwöhnten Kunden kaum ausreichen.
Der neue Leon wird in vier Ausstattungslinien angeboten. Immer Standard sind nun das schlüssellose Zugangs- und Startsystem, das die nicht mehr
abgedeckten Türschlösser umso unverständlicher macht, und Voll-LED-Scheinwerfer, von denen Seat fälschlicherweise behauptet, sie seien auch im
Leon III serienmäßig gewesen. Statt der bisherigen sieben verbaut Seat nur noch sechs Airbags.
Die Basis bildet der "Reference", der so spärlich bestückt ist, dass der Autobauer es nicht peinlich findet, Selbstverständlichkeiten wie
elektrische Außenspiegel oder gesetzlich vorgeschriebene Dinge wie ESP ausdrücklich zu erwähnen. Im "Style" kommen im Wesentlichen
lediglich Lederlenkrad, beheizbare Spiegel und Tempomat hinzu.
Darüber finden sich die ernstzunehmenden Varianten, namentlich der komfortable "Xcellence" und der sportliche "FR". Hier sind
jeweils die Dreizonen-Klimaautomatik, größere Räder, bessere Sitze und -bezüge und etliche andere, noch nicht genau kommunizierte
Details Standard. Der Xcellence trägt Chromschmuck an den Seitenfernstern und am Kühlergrill, der FR spezifische Schürzen und
Fake-Auspuffblenden, weiterhin aber keine Schwelleraufsätze.
Alle Leon sind künftig "always on", also mittels einer eSIM-Karte ständig mit dem Internet verbunden. Dies ermöglicht zahlreiche
Services von der Echtzeit-Verkehrslage über den nicht wegzudenkenden Wetterbericht bis hin zu Online-Radio und automatischem Notruf.
Auch ein Fernzugriff vom Handy ist möglich. Android Auto und Apple CarPlay sind jeweils Standard, letzteres in der kabellosen
Variante. Das zentrale Display misst acht Zoll oder optional bzw. in den höheren Linien zehn Zoll.
Das Interieur orientiert sich stark am Golf. Digitalinstrumente (10,25 Zoll) sind Standard, Schalter Mangelware. Das "Lichtzentrum"
beinhaltet auch beim Leon Touch-Tasten für Klima-Funktionen, nahezu alles andere wird über das Lenkrad, die deutlich verbesserte
Sprachbedienung, den Zentralbildschirm und die darunter liegende Touchleiste gesteuert. Damit bietet der Leon noch weniger
Möglichkeiten als Golf und Octavia, auf Funktionen direkt zuzugreifen. Auch die unpraktischen, weil rändelradfreien Luftduschen
musste oder wollte Seat übernehmen, ebenso den ach so modernen, aber nicht praktischen "drive-by-wire"-Wälhebelstummel, der aber
immerhin symmetrischer eingepasst ist als im Golf.
Besser gelungen als beim Wolfsburger Bruder sind auch die inneren Türgriffe und das Ambientelicht. Es zieht sich nicht nur optisch
gelungen von den Türen in einem weiten horizontalen Bogen über das Armaturenbrett, sondern ist auch funktional pfiffig und bisher
wohl einzigartig konzipiert: Im Bereich der A-Säule dient die Lichtleiste auch zur Signalisierung von Warnungen des Tote-Winkel-Assistenten
und der neu integrierten Ausstiegswarnung, von der Seat warum auch immer behauptet, das System warne auf der Fahrerseite vor von
hinten herannahenden Fahrzeugen und auf der Beifahrerseite vor Fußgängern und Radfahrern. Die Lichtleiste dient auch als Begrüßungslicht,
zeigt den Wechsel eines Fahrprofils an und ist - mutmaßlich - auch an die Auffahrwarnung gekoppelt.
Preise liegen noch nicht vor, dürften sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach wie bisher leicht unter denen des Octavia einsortieren.
Noch in dieser Woche soll die Produktion am Seat-Stammwerk in Martorell anlaufen, die Händlerpremiere ist indes erst für April vorgesehen.
Dass der Leon ein Erfolgstyp bleiben wird, ist absehbar - auch wenn er dem Ersteindruck nach nicht mehr ganz so unbeschwert und sympathisch
vorfährt wie bisher.
Aber das gilt ja für den Golf erst Recht.