Die Brücke steht schon. Ein filigranes Bauwerk, das kurz hinter Serneus das Tal in luftiger Höhe überspannt und bereits
jetzt wegen seiner markanten Pylonen und der dazwischen an mächtigen Stahltrossen aufgehängten Fahrbahn als neues
Wahrzeichen des Schweizer Wintersportortes Klosters gilt. Doch noch fahren auf der 596 Meter langen Sunnibergbrücke im
Schweizerischen Prättigau keine Autos. Erst muss der sich anschließende 4530 Meter lange Gotschnatunnel fertiggestellt
werden. "Der Tunnel liefert uns wegen des brüchigen Gesteins einige bautechnische Knacknüsse", so Dennis Schneider,
Direktor vom Kur- und Verkehrsverein Klosters. Und so wird es vermutlich noch bis zum Jahr 2007 dauern, ehe die
Ortsumfahrung eröffnet wird und den Einheimischen das bringt, was sie seit Jahren heiß ersehen: Mehr Lebensqualität durch
weniger Autoverkehr.
Was die Leute von Klosters seit Jahren erdulden, zeigt sich jeweils an Wochenenden, wenn der nicht enden wollende
Autostrom der Skiurlauber von Landquart durchs Prättigau-Tal in Richtung Davos rollt. Dann würden viele Bewohner von
Klosters am liebsten die Straße sperren. Anders als in Davos, das wegen der vielen Hochhäuser und des starken Verkehrs
längst Großstadtcharakter hat, kann sich der Besucher in so manchen Gegenden von Klosters ins letzte Jahrhundert
zurückträumen, so im historischen Dorfkern oder im Monbiel-Tal bei einem Spaziergang entlang der aus mächtigen Holzbalken
errichteten Bauernhäuser. "Dieses Bild des ruhigen, beschaulichen Ferienortes wollen wir erhalten. Die 500 Millionen
Franken für die rund fünf Kilometer lange Umfahrungsstrecke sind deshalb bestens angelegt", so Dennis Schneider. Dabei
lässt der Tourismuschef deutlich spüren, wie sehr er es bedauert, dasss mit dieser Baumaßnahme nicht schon viele Jahre
früher begonnen wurde.
Trotz allem - ohne den großen Nachbarn Davos wäre Klosters nicht der Skiort von Weltruhm geworden, den sogar Prominente
wie der englische Thronfolger Prinz Charles bevorzugen. Der Ort, der um 1220 gegründet wurde und Ende des letzten
Jahrhunderts mit der Eröffnung des ersten Hotels in den Tourismus einstieg, hat 1950 durch den Bau der Gotschna-Seilbahn
die Verbindung ins berühmte Parsenngebiet hergestellt. Dort oben befördern moderne Gondeln und Express-Lifte den
Snowboarder und Skifahrer zu Half-Pipe, Carving-Piste und Skiabfahrten für jede Könnensstufe. Die zwölf Kilometer lange
Parsennabfahrt vom 2844 Meter hohen Weissfluhgipfel bis nach Küblis ins Unterland, wie die Einheimischen das Tal
unterhalb von Klosters nennen, ist nach wie vor der Schlager der weißen Saison.
Übrigens ist der Weissfluhgipfel auch Ausgangspunkt einiger reizvoller Skitouren, wie beispielsweise durchs Sapüntal und
weiter über St. Peter nach Fideris. Zu den unvergesslichen Genussabfahrten zählen hierbei die Geländevariante auf weiten
Pulverschneehängen zum urgemütlichen Berggasthaus Heimeli sowie die in rund 2500 Meter Höhe beginnende, nicht enden
wollende Abfahrt direkt zum kleinen Bahnhof von Fideris. Von dort bringt die Rhätische Bahn die Variantenfahrer zurück
nach Klosters.
Vom Bahnhof Klosters Dorf sind es nur wenige Gehminuten zur Talstation der Madrisabahn. Die 1966 eröffnete Bahn mit ihren
etwas veralteten Viererumlaufgondeln führt auf der gegenüberliegenden Talseite von Parsenn und Weißfluh ins zweite
Skigebiet von Klosters. Sieben Lifte erschließen dort zwischen 1900 und 2600 Metern weite baumfreie Südhänge, die vor
allem im Frühjahrsfirn ihren Reiz haben. Am Madrisahorn beginnt ein Tagesausflug der besonderen Art: Eine
grenzüberschreitende Skitour nach Gargellen ins benachbarte Montafon in Österreich. Zurück nach Klosters führt die
neuneinhalb Kilometer lange Piste Schafcalanda-Schlappin vorbei am Berghaus Erika Schlappin, einem der wenigen
gemütlichen Gasthäuser im Pistenrevier. Das ist ein Manko im gesamten Skigebiet von Klosters/Davos. Mit der Gastronomie
sieht es leider recht trüb aus. Fast-Food und Self-Service herrschen vor.
Urige Hütten wie "Schifer" und "Schwendi" im Parsenngebiet oder die "Mäderbeiz" auf Pischa, wo junge Mädchen mit
auffallender Freundlichkeit bedienen, sind rar. Die gemütlichen Restaurants liegen im Tal und sind für Skifahrer, wenn
überhaupt, nur nach einer Geländefahrt erreichbar. Dazu zählt in jedem Fall der Gasthof Mühle im Sertigtal, lohnendes
Ziel herrlicher Tiefschneevarianten vom Jakobshorn, dem Davoser Paradeskiberg. Empfehlenswert auch das Gasthaus Teufi im
Dischmatal, zu dem man ebenfalls nach einer Tourenvariante vom Jakobshorn gelangt. Urgemütlich das Restaurant Höhwald in
Klosters/Monbiel. Von der Terrasse des Restaurants, das interessante Bündner Spezialitäten serviert, lässt sich in der
Nachmittagssonne die gesamte Tourenabfahrt mit allen ihren weiten Hängen unterhalb des 2670 Meter hohen Gatschiefer Hang
für Hang noch einmal träumerisch nachvollziehen. Mehr als 1500 Höhenmeter beträgt diese Abfahrt über Nordhänge, die
selbst bei wenig Schnee in den Hochlagen genussreiches Tiefschneefahren garantieren.
Solche Skierlebnisse weit abseits der Pisten sind nur in Begleitung eines ortskundigen Skiführers möglich. Sämtliche
Teilnehmer müssen nicht nur konditionell auf der Höhe sein, sondern zudem einen Lawinenpiepser mitführen. Beileibe nicht
alle Skilehrer dürfen derartige Touren führen. In der Skischule von Klosters sind von den über 100 Stammlehrern gerade
mal 20 dafür zugelassen! "Die zweijährige Skilehrer-Ausbildung, bei der man neben Schnee- und Lawinenkunde auch den
Umgang mit Kompass, Karte und Höhenmesser lernt, reicht dafür nicht aus", erklärt Skischulleiter Heinz Schoch.
"Varianten-Skiführer müssen vor allem ein sicheres Gespür für ihre Gruppe und beste Geländekenntnisse haben."
Die Zahl der Varianten ist begrenzt. Nur etwa 100 Abfahrten abseits der Pisten rund um Klosters und Davos sind offiziell
zugelassen. Die anderen Gebiete sind für den Skisport tabu. "Man hat reine Schonzonen für Wald und Wild ausgewiesen, von
denen sich die Tiefschneefreunde und Variantenfans auf freiwilliger Basis fernhalten", so dazu der aktuelle
ADAC-Ski-Guide 2001. In der Region ist man grundsätzlich um mehr Landschaftsschutz und Lebensqualität bemüht. Dieser
Bemühung gilt auch der Bau der Umfahrungsstraße mit Sunnibergbrücke und Gotschnatunnel, mit der die Gemeinde den
wachsenden Autoverkehr bändigen will.