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Freitag, 19. April 2024
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190 PS starkes Crossover-Modell offenbart Stärken und Schwächen im Fahrbericht

Unterwegs im Nissan Juke Turbo Allrad

Nissan
Crossover mit 190 PS:
Nissan Juke
"Konsequent inkonsequent" heißt das Kapitel über den Nissan Juke in der Pressemappe. Da ist viel Wahres dran, wie der Kleinwagen in der 190 PS starken Top-Ausführung bei einer Ausfahrt in der fränkischen Schweiz offenbarte. Fahrbericht. Oh mein Gott, wie sieht der denn aus, sagt die beste Frau von allen, als ich mittags mit dem Nissan Juke vorfahre, und sie zieht das deeer seeehr in die Länge. Dabei hatte ich ihr gesagt, dass mein heutiges Auto "anders" ist. Crossover heißt so etwas im Branchen-Jargon, "Kompakt-SUV trifft Sportwagen" textet die Nissan-PR-Abteilung, aber das ist jetzt nicht wichtig: der erste Eindruck ist entscheidend. Man kennt das.

In der Tat: Der Nissan Juke polarisiert. Man kann ihn wunderbar individuell finden, als Gesicht in der Masse an automobilem Einheitsbrei, oder als entfernt an den Fiat Multipla erinnerndes, arg überzeichnetes Gefährt für um Aufmerksamkeit buhlende Leute, quasi mehr als joke denn als Juke. Dem Autor, der das Auto nur einen Tag hat, gefällt der Juke und die Blicke, die er auf dem Edeka-Parkplatz erzeugt, grundsätzlich, er würde ihn sich aber auch nicht in die eigene Garage stellen. Warum Nissan, wo man nur allzu gerne den zweifellos großen Erfolg des Qashqai in der Kompaktklasse mit dem Juke in der Kleinwagen-Klasse wiederholen würde, nicht zumindest etwas zurückhaltender agiert hat, ist unverständlich.

Weil man über Geschmack (nicht) streiten kann, ein Blick auf die sonstigen Qualitäten des Wagens. Unter dem Motto "Wenn schon ein unkonventionelles Auto, dann richtig" wählen wir für die Ausfahrt das Topmodell: 190 PS stark und mit Allradantrieb ausgerüstet. Diese Variante wird im Gegensatz zu allen anderen für Europa vorgesehenen Juke in Japan montiert.

190 PS in einem Kleinwagen? Das klingt verrückt, ist aber nur in Bezug auf Nissan wirklich eine auffällige Kombination. Bei Mini, im Audi A1, Opel Corsa oder VW Polo sind solche Leistungsdaten an der Tagesordnung. Der direkteinspritzende 1,6-Liter-Motor erreicht diese Leistung dank Turboaufladung, das Drehmoment von 240 Newtonmetern liegt zwischen 2.000 und 5.600 Umdrehungen an. Dort wird auch die Höchstleistung erreicht, und so schnellt die Drehzahlmessernadel bei Vollgas schnell in diesen Bereich. Dort verharrt sie dann konstant, bis der Fahrer den Fuß lupft - ein stufenloses Automatikgetriebe muss man schon akustisch mögen, zumal der Motor in dieser Disziplin nur Durchschnittliches zu bieten hat.
Viel Leistung, mäßige Fahrleistung, hoher Verbrauch
Natürlich stürmt der Juke bei Kickdown vehement davon. Laut Datenblatt vergehen 8,4 Sekunden aus dem Stand bis auf das Bundesstraßen-Tempolimit. 8,4 Sekunden bei 190 PS? Ja, mehr im Sinne von weniger ist nicht drin, und daran haben CVT und Allrad nur einen kleineren Anteil, wie der Blick ins Datenblatt des gleich motorisierten, handgeschalteten Fronttrieblers zeigt, der mit 8,0 Sekunden gelistet ist. Zäh ist der Vortrieb im Juke nicht, aber er wirkt doch subjektiv mehr wie 150 als 190 PS. Auch auf der Autobahn darf man sich wundern: Bei Tacho 210 ist Schluss, ebenfalls schwach für die Leistung. Die erwähnten Mitbewerber überholen hier noch ohne größere Anstrengung, selbst ein Golf TDI mit 140 PS zieht vorbei.

In punkto Verbrauch ist der Juke dagegen weniger zurückhaltend: Zwar sind die 7,6 Liter Normverbrauch durchaus im Rahmen; wer das Auto flott bewegt, ereicht aber Turbo-typisch schnell deutlich zweistellige Werte - und damit wegen des 50 Liter kleinen Tanks geringe Reichweiten. Weil der Normverbrauch auch bei zurückhaltenderer Gangart nur mit viel Mühe erreichbar sein dürfte, empfiehlt sich der Juke Turbo speziell für Wenigfahrer.

In punkto Traktion gibt es schon wegen des Allradantriebs keine Probleme. Durchdrehende Räder sind dem Juke fremd, auch das beim Micra aufgetretene Quietschen ist rotz der recht schmalen Reifen (215er) nicht zu beobachten. Das sogenannte ALL-MODE-4x4-i-System verfügt zusätzlich über Torque Vectoring. Die Kraft wird nicht nur auf Vorder- und Hinterachse verteilt, sondern auch variabel zwischen den Hinterrädern. Ziel ist, durch zusätzliches Drehmoment am äußeren Hinterrad die Neigung zum Untersteuern zu minimieren. Dennoch gelingt es dem Juke nicht, dem Piloten in schnellen Kurven ein verlässliches Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Während problematische Situationen nicht auftauchen, vermittelt der Wagen aber bisweilen das Gefühl solcher.

Während der Federungskomfort unauffällig blieb, gilt dies nicht für die Windgeräusche: Schon ab Tempo 120 zieht es vernehmlich um die A-Säulen, der wenig zeitgemäße Cw-Wert von 0,35 lässt grüßen. Und wo der Micra mit einem Mini-Wendekreis überraschte, verschätzt man sich beim Juke eher in der anderen Richtung. Wir haben nicht nachgemessen, wollen die 10,7 Meter des Datenblatts aber dennoch bezweifeln. Die Bremsanlage wirkt standfest.
Karosserie, Verarbeitung und Ausstattung: Gemischte Gefühle
Abseits des Antriebskapitels ist der Juke schwer einzuordnen. Während die fünf Türen und die ebene Ladefläche bei umgeklappten Rücksitzen, aber auch die nicht nur wegen ihrer SUV-typisch höhere Lage angenehme Sitzposition für Fahrer und Beifahrer mit dem unkonventionellen Ausblick über die beiden Radhäuser Alltagstauglichkeit versprechen, signalisieren die hohe Ladekante, der kleine Kofferraum oder die aus Designgründen gewählten, unpraktischen Klapptürgriffe hinten eher das Gegenteil. Die Verarbeitung ist grundsätzlich gut; einen allzu wertigen Charakter verhindern aber Details wie sichtbare Schrauben am Armaturenbrett, der schlecht ablesbare und noch schlechter bedienbare Bordcomputer oder die fingernagelfeindlichen und drecksammelnden Innentürgriffe.

Während die Klimaanlage am warmen Tag der Ausfahrt oft am Limit arbeitete und ihre Bedieneinheit, die auch das serienmäßige "Dynamic Control System" steuert, sich mehr an Spielernaturen als an Freunde der intuitiven Gestaltung richtet, überzeugte das Festplatten-Navigationssystem Connect wie schon unlängst im Nissan Micra mit gutem Sound, makelfreier Telefonwidergabe, anständiger Navigation und umfangreicher Funktionsvielfalt.

Es ist ebenso serienmäßig wie der über Lenkradtasten bediente Tempomat mit Geschwindigkeitsbegrenzer, USB-Anschluss, Licht- und Regensensor, Nebelscheinwerfer und elektrisch anklappbare Außenspiegel. Auch 17-Zoll-Räder, schlüsselloses Zugangs- und Startsystem, Rückfahrkamera und abgedunkelte Scheiben hinten gehören zum überdurchschnittlichen Standard.

Das alles wird seinen Preis haben? Ja, sicher. 25.140 Euro lautet der Grundpreis, verdammt viel Geld für ein 4,14 Meter kurzes Auto. Berücksichtigt man aber Allradantrieb, Automatik und Ausstattung, wendet sich das Blatt zugunsten des kleinen Japaners. Ein Mini Countryman Cooper S Allrad kostet drei Tausender mehr, ausstattungsbereinigt sind es rund 8.000. Der Mini bietet dafür freilich nicht nur bessere Fahrleistungen und mehr Image, sondern nicht zuletzt auch mannigfaltige Möglichkeiten zur Individualisierung. Dieses Thema nämlich findet bei Nissan nach wie vor nicht statt: Wer Xenon-Licht, Schiebedach, Parksensoren, Tagfahrlicht, Anhängerkupplung oder Ähnliches will, geht leer aus. Außer Metalliclack und Leder sind keine Optionen lieferbar.
Die bessere Alternative
Die Autokiste-Empfehlung: Wer sich in den Juke verguckt hat - das dürfte das wichtigste Kauf-Argument sein -, sollte überlegen, sich den 190-PS-Spaß bei einer ausführlichen Probefahrt zu gönnen. Und dann - den Diesel zu kaufen. Mit 110 PS und ebenfalls 240 Nm Drehmoment in Kombination mit manuellem Sechsganggetriebe wirkte er in einer weiteren kurzen Ausfahrt überraschend munter und leise und kam kaum über sechs Liter Verbrauch. Und mit 21.800 Euro bei gleicher Ausstattung ist er immer noch teuer, liegt aber letztlich auf klassenüblichem Niveau.

Die eingangs erwähnte Dame würde aber auch ihn nicht wollen, so ist das nun einmal mit dem ersten Eindruck.
text  Hanno S. Ritter
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