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Das weltweit sparsamste Auto: Der 1-Liter-VW
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© Volkswagen AG
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Mitte der 1990er Jahre verblüffte der in diesen Tagen aus dem Amt scheidende VW-Chef Dr. Ferdinand Piëch Journalisten
und seine Mitarbeiter mit der Aussage, Volkswagen werde noch im 20. Jahrhundert ein echtes Drei-Liter-Auto präsentieren
- voll alltagstauglich, mit vier Sitzplätzen und einem hohen Sicherheitsstandard. Der Legende nach hat Piëch bei einem
Abendessen in den USA ein erstes Konzept für die Entwickler auf eine Serviette gezeichnet. Viele glaubten nicht an die
Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung, doch Piëch hielt Wort: Im Sommer 1999 kam der Drei-Liter-Lupo auf den Markt - und
die Öffentlichkeit staunte wieder: Der Verbrauch lag nicht etwa bei 3,4 Litern, was findige PR-Menschen noch als einen
Drei-Liter-Verbrauch zu deuten gewusst hätten, sondern bei 2,99 Litern - und selbst in den Tests der Autopresse wurde
dieser Wert nicht überschritten. Trotz seines vergleichsweise hohen Preises wurde der Lupo TDI 3L bereits über
22.000 Mal verkauft.
Doch natürlich kamen alsbald die Fragen an Piëch, warum man nicht ein Auto mit einem Verbrauch von nur einem
Liter bauen würde. Wirklich ärgern konnte sich der VW-Boss über so etwas freilich nicht: Er bejahte die Frage
einfach ... und das Entwicklungsteam in Wolfsburg wird dies mutmaßlich nicht nur einmal bereut haben.
15. April 2002: Anlässlich der 42. Hauptversammlung der Volkswagen AG präsentiert das Unternehmen heute
mittag in Hamburg das weltweit sparsamste Auto: Der Ein-Liter-VW fährt vor. Der bis dato streng geheime
Prototyp, von dem viele nie geglaubt hätten, dass er je gebaut werden könnte, ist mit eigener Kraft von
Wolfsburg aus in die Hansestadt gefahren worden: Im Vorfeld der Jahreshauptversammlung hatte Piëch
persönlich mit diesem Forschungsfahrzeug die Strecke zwischen dem Unternehmensstammsitz und Hamburg zurückgelegt.
Trotz schwieriger Wetterbedingungen konnte bei dieser Fahrt ein rekordverdächtiger Durchschnittsverbrauch von
fast unglaublichen 0,89 Litern pro 100 Kilometer erreicht werden. Der Start fand am Sonntag morgen um 9.00 Uhr
vor dem Verwaltungshochhaus der Volkswagen AG in Wolfsburg bei Regenwetter statt. Die Route führte über die
Autobahn A39 zum Kreuz Königslutter, dann über die Autobahnen A2 und A7 über die Elbbrücken bis zum Hotel
"Vier Jahreszeiten" an der Hamburger Binnenalster. Die wochenlangen Testfahrten fast rund um die Uhr hatten sich ausgezahlt.
Ohne Störung hielt das aufgrund der Gewichtseinsparung unlackierte und damit etwas unscheinbare Fahrzeug problemlos die
230 Kilometer lange Tour durch. Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 75 km/h, nach rund drei Stunden Fahrzeit war das
Ziel erreicht - und aus dem 6,5 Liter-Tank gerade einmal 2,1 Liter durch die Einspritzdüsen geronnen.
Die Herausforderung, das sparsamste Auto der Welt zu konstruieren, wurde von der Volkswagen Forschung und Entwicklung in nur drei
Jahren zu einem fahrfertigen Auto umgesetzt, das auch Fahrspaß bereiten soll. Projektleiter Dr. Thomas Gänsicke:
"Es ist schon ein faszinierendes Erlebnis, mit 100 km/h durch die Nacht zu fahren, während auf der Verbrauchsanzeige der Wert
von 1,0 l/100 km leuchtet, und über sich nur die Sterne zu sehen." Es galt dabei, unter Ausnutzung aller technischen Möglichkeiten
ein Fahrzeug zu entwickeln, dessen Gesamtverbrauch bei nur einem Liter Kraftstoff liegt. Grundsätzlich ging es darum, zu zeigen,
was mit dem Einsatz modernster Technologien in punkto Verbrauchsreduzierung machbar ist - und dabei ein sicheres, zulassungs-
sowie gebrauchsfähiges Fahrzeug auf die Räder zu stellen. Bei der Entwicklung mussten jedwede Kompromisse vermieden werden.
So wurden alle vorhandenen technischen Lösungen untersucht - und in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Zulieferern durch
eine bessere, zumeist leichtere Version ersetzt. Wichtige Ziele der Entwicklung waren die Minimierung aller Fahrwiderstände
durch Leichtbau, exzellente Aerodynamik, Entwicklung neuer Reifen und Fahrwerksteile unter Berücksichtigung der Ergonomie und
aktueller Sicherheitsstandards sowie vertrauter Bedienungsmöglichkeiten. Die Zielvorgabe, einen Verbrauch von einem Liter
Kraftstoff auf 100 Kilometern zu erreichen, bedeutete jedoch die Abkehr von herkömmlichen Fahrzeug-Konzepten. Das 1-Liter-Auto
ist deshalb mit 1,25 Metern ungewöhnlich schmal, Fahrer und Beifahrer sitzen in Tandem-Position, der Motor ist als Mittelmotor
quer vor der Hinterachse installiert, und die Kunststoff-Karosserie kennzeichnet eine aerodynamisch günstige Tropfenform.
Die im Windkanal entwickelte Karosserie des 3,65 Meter langen, aber nur 1,25 Meter
breiten und etwas über einem Meter flachen Fahrzeugs besteht vollständig aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff. Aus
Gründen der Gewichtseinsparung ist sie natürlich unlackiert. Die CfK-Außenhaut spannt sich über einen
Spaceframe-Rahmen, der nicht aus Aluminium, sondern aus dem nochmals deutlich leichteren Magnesium hergestellt wird.
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Ungewohnt: Blick ins Interieur
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© Volkswagen AG
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Beim Antrieb des 1-Liter-Autos handelt es sich um einen Einzylinder-Diesel, der als Mittelmotor vor der Hinterachse
positioniert ist; und zwar in Kombination mit einem automatisierten Direktschaltgetriebe. Kurbelgehäuse und
Zylinderkopf des 0,3-Liter-Motors sind in Monoblock-Bauweise aus Aluminium gefertigt. 6,3 kW / 8,5 PS bei
4.000 U/min leistet der Saugdiesel-Direkteinspritzer mit der aus den TDI-Modellen bekannten Pumpe-Düse-Hochdruckeinspritzung.
Er verhilft dem nur 290 Kilogramm leichten Fahrzeug zu einem erstaunlichen Temperament. Der Kraftstoff-Verbrauch liegt
tatsächlich bei nur 0,99 Litern auf 100 Kilometer. Mit dem ungewöhnlichen Tankinhalt von nur 6,5
Litern können so rund 650 Kilometer ohne Tankstopp zurückgelegt werden.
Aufgrund des knappen Bauraumes war es nicht möglich, ein vorhandenes Getriebe zu adaptieren. Deshalb kommt ein
kompaktes, automatisiertes Sechsgang-Schaltgetriebe zum Einsatz,
das über einen Drehschalter (siehe Fotoserie)
im Cockpit angesteuert wird.
Das aus Leichtmetall gefertigte Fahrwerk und die rollwiderstands-optimierten Leichtlauf-Reifen auf 16-Zoll-Felgen
aus extrem leichtem Verbundwerkstoff korrespondieren perfekt mit dem sparsamen Antrieb.
Der sportlich knapp gestaltete Innenraum bietet ausreichend Platz für zwei Personen, die nach dem Zurückklappen
der kuppelartigen Flügeltür bequem einsteigen können. Auch bei den Sitzen wurde extremer Leichtbau angewendet. So
besteht der Sitzrahmen aus Magnesium, statt klassischer Polster kommen hochfeste Gewebespannbezüge zum Einsatz, die
laut VW aber dennoch guten Komfort bieten sollen.
Trotz des Leichtbaus in allen Komponenten ist die Sicherheit stets in allen Phasen der Entwicklung des Einliter-Autos
ein wesentlicher Bestandteil gewesen. So gehören ein Antiblockiersystem, das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP
sowie ein Fahrerairbag zur Sicherheitsausstattung des Konzeptfahrzeugs. Deformations-Elemente im Frontbereich sowie
die Spaceframe-Konstruktion sorgen laut VW für einen Aufprall- und Überschlagschutz, der dem eines GT-Rennwagens
entspricht. Das aufwendig konstruierte Leichtbau-Fahrwerk (Doppelquerlenker vorn, DeDion-Hinterachse) sorgt in Verbindung
mit dem niedrigen Schwerpunkt und dem geringen Fahrzeuggewicht für ein sehr agiles Lenkverhalten.
Auch verfügt das 1-Liter-Auto über zahlreiche praktische und komfortable Details. So befindet sich im Heck unter
einer separaten Klappe ein leicht zugänglicher Stauraum mit einem Fassungsvermögen von 80 Litern; eine
Rückfahrkamera hilft beim Rangieren; eine automatische Ver- und Entriegelung der Flügeltür und ein Startknopf
im Cockpit ermöglichen eine Bedienung ohne Schlüssel.
Das Fahrzeugkonzept des 1-Liter-Autos - vierrädrig, flach, mit zwei hintereinander angeordneten Sitzen - will
VW auch verstanden wissen als einen Ausblick auf eine mögliche neue Fahrzeugfamilie, die vom Supersparmobil über
den preiswerten Alltagstourer für junge Leute bis hin zum Supersportler mit exzellenten Fahrleistungen einen neuen
Bedarf abdecken könne. - Es zeigt aber auch den enormen Aufwand beim Bau solcher Autos: Der Weg vom 5-Liter-Golf
zum 3-Liter-Lupo war deutlich einfacher als der vom Lupo zum jetzt vorgestellten noch namenslosen VW mit dem grünen
"1L" am Heck. Dennoch zeigt die Studie das enorme Potenzial bei umweltfreundlichen Fahrzeugkonzepten auf, und sie ist
- mehr als es ein 420 PS starker VW Phaeton oder ein über 1000 PS starker Bugatti je sein könnte - ein würdiges
Denkmal für den sehr erfolgreichen Ferdinand Piëch, der am Dienstag nach der Hauptversammlung aus dem VW-Vorstand
ausscheidet.