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Donnerstag, 28. März 2024
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Pilotprojekt von 2008 wird landesweiter Standard

NRW: Sichtschutzwände gegen Gaffer

Gaffer bei Unfällen auf Autobahnen sind ein Ärgernis in mehrfacher Hinsicht. Weil Appelle und Strafandrohungen das Phänomen kaum zu beeinflussen vermögen, setzt man in Nordrhein-Westfalen jetzt auf mobile Sichtschutzwände. Doch das System hat seine Grenzen.
NRW: Sichtschutzwände gegen Gaffer
Straßen.NRW
NRW setzt auf mobile Sichtschutzwände
gegen Unfall-Gaffer, hier die Präsentation bei der Autobahnmeisterei
Sie gehen vom Gas, beobachten das Geschehen, anstatt zu helfen, oder filmen sogar mit dem Smartphone: Schaulustige erschweren die Arbeit der Einsatz- und Rettungskräfte bei Unfällen auf Autobahnen. Dabei ist die Neugier Schaulustiger nicht nur für die Unfallopfer belastend, sie sorgt zudem für gefährliche Abbremsmanöver auf der Gegenfahrbahn und zusätzliche Staus.

In Nordrhein-Westfalen setzt der Landesbetrieb Straßenbau ("Straßen.NRW") nun mobile Sichtschutzwände gegen die Gaffer ein. Jedes der zwölf Systeme besteht aus einem Anhänger mit 40 einzelnen Stahlrahmen (aufgestellt jeweils 2,5 Meter lang und 2,1 Meter hoch), in denen jeweils eine grüne, blickdichte Folie verspannt ist. Vor Ort angekommen, können die Mitarbeiter der jeweiligen Autobahnmeisterei somit eine bis zu 100 Meter lange, undurchsichtige Wand errichten, die dank flexibler Öffnungen bis Windstärke 5 verwendet werden kann. Die zwölf Anhänger sind so auf die Meistereien im Land verteilt, dass das rund 2.200 Kilometer umfassende Autobahnnetz in Nordrhein-Westfalen komplett abgedeckt werden kann.

"Die Sichtschutzzäune sind ein Element, um Staus und Unfälle zu vermeiden. Schaulustige oder Autofahrer, die sich reflexartig vom Geschehen auf der Gegenfahrbahn ablenken lassen, bekommen nichts mehr zu sehen", sagte NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) bei der Präsentation in der Autobahnmeisterei Kaarst am vergangenen Freitag. "Gleichzeitig werden die Persönlichkeitsrechte von Unfallopfern und Rettungskräften geschützt."

Es sei gut, dass Straßen.NRW dieses System zusammen mit der Polizei getestet und ausgewertet hat, und dass die Sichtschutzelemente jetzt für alle Autobahnabschnitte verfügbar seien, do der Minister. In der Tat: Die Behörde hatte ein fast identisches System bereits 2008 in Kaarst erprobt. In dem einjährigen Pilotprojekt sei der Sichtschutz sieben Mal zum Einsatz gekommen, heißt es. Dabei zeigte sich nach den Worten von Straßen.NRW-Hauptgeschäftsführer Winfried Pudenz, dass der Grundgedanke nicht nur theoretisch funktioniert: "Der Verkehr fuhr bei den Tests flüssiger am Unfallort vorbei, da die Autofahrer nicht abgelenkt waren. Staus bauten sich nach dem Errichten der Wände schneller wieder ab." Hinzu komme ein psychologischer Effekt: Polizei-, Rettungs- und Bergungskräfte, die hinter dem Sichtschutz tätig waren, hätten sich subjektiv sicherer gefühlt.

Warum die "Serienumsetzung" so lange gedauert hat, blieb offen. Rund 470.000 Euro aus Bundesmitteln hat der Landesbetrieb nun in die zwölf Systeme investiert. Der Hauptnachteil der mobilen Sichtschutzwände ist ihre Reaktionszeit. Da es je nach Tageszeit und Unfallstelle bis zu 100 Minuten dauern kann, bis die Elemente vor Ort und aufgebaut sind, muss der Einsatzleiter der Polizei zuvor abschätzen, wie lang Rettung und Räumung an der Unglücksstelle voraussichtlich laufen. Die Frage, wie "spektakulär" - und somit potenziell ablenkend für andere Verkehrsteilnehmer - ein Unglück ist, ist demnach nicht das Hauptkriterium.

Diese bis zu 100 Minuten ist der Unfallort dann eben doch ein gefundenes Fressen für Gaffer. Abhilfe verspräche nur die Ausrüstung der Feuerwehren mit den Sichtschutz-Anhängern - doch das ist flächendeckend nicht finanzierbar.
text  Hanno S. Ritter
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